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Sätze, die die Welt nicht braucht

Ist Ihnen auch schon aufgefallen, dass in Filmen und Serien permanent Sätze fallen wie „Jetzt reiß‘ dich einmal zusammen, du bist schließlich eine Lahnstein!“ oder „Wir Wagners lassen uns nicht unterkriegen!“ oder auch „Du bist ein Lehmann, und die Lehmanns kämpfen immer für ihre Ziele!“. Jedesmal, wenn ein solcher Satz fällt, muss ich stutzen. So spricht doch keiner! Also in meiner Familie bezeichnen wir uns in der Regel nicht als „die Kunzens“ und wir sprechen uns auch keine Ermutigungen à la „Du bist schließlich eine Kunz!“ zu. Ich fände das auch äußerst befremdlich. Man stelle sich vor, man sitzt friedlich beim Familienessen und erzählt meinetwegen von einer beruflichen Krux – und dann steht mein Vater aus heiterem Himmel auf (denn diese Sätze fallen IMMER im Stehen, meist auf einer großzügig angelegten Terrasse oder im Garten), klopft mir auf die Schulter und sagt: „Na komm, das kriegst du schon hin, du bist schließlich eine Kunz!“? Ähm… nein. Alles, was ich hinkriege, ist allein auf meinen Charakter und damit natürlich schon irgendwie auf die familiäre Prägung zurückzuführen, aber sicher nicht auf meinen Nachnamen. Das würde ja auch implizieren, dass sämtliche Familienmitglieder, die den Namen Kunz tragen (und das sind viele, sehr viele sogar), immer eine Art Vorbildrolle erfüllt hätten (sonst gäbe es schließlich keinen Grund, stolz auf diesen Namen zu sein). Und einmal ganz ehrlich – in welcher deutschen Familie ist das bitte der Fall?

Es gibt noch eine andere Formulierung, die mir vor allem in eher, sagen wir… günstig produzierten Serien auffällt und die nicht nur wahnsinnig gestelzt und unecht klingt, sondern die ich im echten Leben auch noch nie gehört habe:
„Ich werde Wuppertal [wahlweise auch Düsseldorf, Köln, Augsburg, Stuttgart, …] verlassen!“.
Ich bin ja schon ein paar Mal umgezogen, habe zu meinen Freunden und Verwandten aber noch nie gesagt: „Ihr Lieben, ich muss euch etwas sagen. Ich werde Leverkusen verlassen.“ oder „Es gibt Neuigkeiten! Ich werde Germersheim verlassen.“ oder auch „Überraschung! Wir werden Berlin verlassen.“. Auch wenn es das Vorstellungsvermögen sämtlicher Drehbuchautoren Deutschlands offensichtlich übersteigt: Ich habe es jedes Mal geschafft, bei der Ankündigung meiner Umzüge nicht davon zu sprechen, eine Stadt zu verlassen. Wenn man schon vom Verlassen spricht, meint man in der Regel Menschen, nicht Städte. Ich bin jedes Mal einfach „weggezogen“, „umgezogen“ oder „nach XYZ gezogen“. Aber das wäre für einen Fernsehdialog wohl zu naheliegend  – und zu undramatisch.

Tja, es gibt (sprachlich gesehen) eben einen entscheidenden Unterschied zwischen Serie und Wirklichkeit. Das Fernsehen braucht dramatische Sätze für banale Ereignisse, die Wirklichkeit aber banale Sätze für dramatische Ereignisse. Und das ist auch gut so, finden Sie nicht?