Archiv für den Tag 9. Januar 2015

Ungarisch für Anfänger und Verzweifelte, Teil 4: Verkehrte Welt

Die Ungarn machen alles anders. 1. Niemand beeilt sich, um pünktlich zu einem privaten Termin zu erscheinen (und auch sonst beeilt man sich sehr selten). 2. Der Namenstag ist wichtiger als der Geburtstag. Jeder weiß, wann der andere Namenstag hat. (Da es in jeder Familie allerdings mindestens drei Lászlós gibt, ist das wahrscheinlich auch weniger kompliziert als man jetzt denkt.) 3. Fremdwörter, die wir hinten betonen, betonen die Ungarn vorne: Hotel statt Hotel, Büfe statt Büffet (wobei hier die Schreibweise abweicht, und  nicht nur die, denn ein Büfe ist in Ungarn das, was bei uns ein Imbisslokal ist).

Und was in Ungarn noch ganz anders ist: die Namen. Im Gegensatz zu wohl allen anderen westlichen Ländern (mit Ausnahme eines gewissen „Freistaats“ im Südwesten Deutschlands) wird dort nämlich der Nachname immer vor dem Vornamen genannt. Zum ersten Mal fiel mir dies auf, als ich dem wunderbaren Mann an meiner Seite, der zufällig – na wie wohl – László heißt, beim Unterschreiben über die Schulter sah. Abgesehen davon, dass ich vor lauter Schwärmerei über seine perfekt geschwungene Signatur, die jedes Mal, aber auch wirklich jedes Mal identisch aussieht, in helle Begeisterung ausbrach, stutzte ich plötzlich, weil auf dem Papier tatsächlich nicht László Nachname, sondern eben Nachname László stand. Das kannte ich bisher wirklich nur von den Bayern, und auch nur mündlich. (Die hatten mich allerdings noch nie in helle Begeisterung versetzt.) Von meinem damaligen Chef zum Beispiel, der sich gerne als Lohmeyer Schorsch (Name geändert) vorstellte und auch von externen Mitarbeitern gerne so sprach: „Frau Kunz, fragen Sie doch mal die Muster Erika (Name frei erfunden)!“ In Ungarn ist diese verkehrte Welt allerdings kein regionales Phänomen, sondern korrekter Sprachgebrauch. Was dann in Deutschland schon mal zu leicht skurrilen Situationen führen kann. Nämlich genau dann, wenn der wunderbare Mann an meiner Seite bei meinen Eltern von einem früheren ungarischen Nachbarn erzählt und merkwürdig fröhlich mehrfach einen gewissen Tóth Attila erwähnt. „Was für ein toter Attila denn?“ meinte ich auf den krausgezogenen Stirnen meiner Eltern ablesen zu können. Es machte sich spürbare Erleichterung im Raum breit, als ich aufklärte, dass Tóth einer der häufigsten Nachnamen in Ungarn und der Genannte noch quicklebendig ist, nur eben Attila Tóth heißt. Quasi der ungarische Peter Müller. Nur anders.